Als Lotti gestern vormittag am Ausgang des Lauseparks nach rechts vom Park wegzog, dachte ich, machen wir eben die Bahnhofsrunde.
Am Sonntagvormittag liegt die Stadtlandschaft am ungestörtesten da, nur spärlich genutzt von Menschen oder Autos. Die Schneedecke allerdings würde noch beschönigen.
Wir könnten auch links rüber zum Urnenfriedhof gehen, ziehen aber die Gerichtstraße runter, und lassen die Post rechts liegen.
Das in den späten 20er Jahren erbaute Gebäude der ehemalgen Hauptpost N 65 mag zwar denkmalgeschützt sein, ich fand das expressionistische Bauwerk aber immer schon er- und bedrückend, allerdings enorm praktisch, da leicht zu erreichen.
Nun ist die Post geschlossen worden; zu renditedrückend die Immobilie offenbar.
Beim Eintrit auf den Nettelbeckplatz scheut Lotti. An einem der Dönerimbisse steht ein Mann mit sehr großem kräftigen Hund, der auf Lotti aufmerksam geworden ist. Lotti folgt mir eng am Fuß vorbei an dem Paar.
Am Abend vorher auf der Abendrunde waren wir in der Triftstraße an einer Gruppe jüngerer Männer mit Flaschen in der Hand vorbeigekommen, die eine ungünstige Aura schon von weitem verströmt hatten. Ich war mit Lotti sehr stringent und in gehörigem Abstand auf dem breiten Fußweg an der Gruppe vorbeigezogen, ohne auch nur den geringsten Kontakt zu der Gruppe herzustellen. Trotzdem rief man mir hinterher, 'Verzieh dich mit deiner Töle'. Darauf reagierte ich jedoch ebenfalls nicht, sondern behielt meinen forschen Schritt bei.
Sowas kann schnell kippen!
Der Nettelbeckplatz an einem Sonntagvormittag kann oberflächlich ganz idyllisch wirken. Das liegt dann jedoch vor allem daran, daß er leer, wie unbewohnt ist. Bei entsprechendem Wetter kann er deshalb auch unbehaust, verlassen wirken.
Von rechts kommend berührt die Lindower Straße den Platz. Sie verläuft parallel zum Bahndamm bis vorne zur Müllerstraße. Vergrößert man das Bild, so kann man linkerhand den S-Bahnhof Wedding erkennen, auf dem ein Zug der Ringbahn eingefahren ist.
Das ist dieser Tage - und auch noch am Sonntag - keine Selbstverständlichkeit. Die Deutsche Bahn hat es diesmal schon nach dem ersten Schneefall mit moderaten Minustemperaturen geschafft, die S-Bahn nicht mehr ernsthaft funktionieren zu lassen.
Es macht eben einen Unterschied, ob man einen Verkehrbetrieb wie die S-Bahn betreibt, um Menschen unter den betriebswirtschaftlich günstigsten Bedingungen so gut wie möglich zu befördern, oder ob man die Beförderung von Menschen betreibt, um eine möglichst gute Rendite zu erzielen.
Biegt man nun rechts um die Ecke, wird der Blick frei auf die Reinickendorfer Straße. Vielleicht ist freier Blick hier nicht die völlig angemessene Beschreibung. Zum einen drängt sich die Bahnbrücke für die Ringbahn sowie die nach Norden fahrenden Züge wuchtig vor das Auge; zum anderen würde hier eigentlich eine unsichtbare Grenze markiert sein: die der durch den S-Bahn Ring defnierten Umweltzone. Wer diese Brücke unterquerte, begäbe sich in die feinstaub-light Umweltzone.
Den hinteren Eingang des S-Bahnhofs Wedding muß ich aber erst noch mitnehmen, auch wenn Lotti nicht eben hilfreich beim Fotoschießen ist.
Was Vorder-, was Hintereingang ist, läßt sich bei einem S-Bahnhof nicht immer gleich sagen. Hier liegt es auf der Hand.
Diese Hintereingangstreppe hat was Gruseliges, Gefahrverströmendes. Eigentlich kann einem gar nichts passieren, wenn man da hinauf geht; es sei denn, eine Hitchcock Kamera würde den Aufstieg filmen.
Geht man unter der Brücke hindurch die Reinickendorfer weiter, ist man trotz alledem nicht in der Umweltzone, obwohl man sich nun innerhalb des S-Bahn Ringes befindet. Die wahrscheinliche Begründung für diesen Widerspruch offenbart sich einem jedoch erst rechts hinter der Straßenbiegung.
Zuerst jedoch noch schnell einen Blick auf den Weddingplatz linkerhand mit der betongrauen 70er Jahre Dankeskirche. Es ist der alte Kirchplatz des Dorfes und Vorwerks Wedding und hieß auch bis 1835 so. Dominiert wird der Platz schon lange aber von ...
Schering. Das ist zwar seit Ende 2006 auch nicht mehr ganz zutreffend, da die Schering AG ist von Bayer übernommen wurde, seitdem Bayer Schering Pharma AG heißt und zukünftig ganz ohne den Namen Schering weitergeführt werden wird.
Für den Anwohner wird das Terrain aber voraussichtlich auf Jahrzehnte weiterhin 'Schering' benannt werden, wie in: 'Dann mußt du bei Schering rechts abbiegen ...' und nicht wie es dann korrekt wäre: Dann mußt du bei der Bayer HealthCare abbiegen.
Das penetrant groß über der Fennstraße prangende Unternehmensmotto: Science for a Better Life heißt - frei - übersetzt auch nichts anderes als 'Ringelpietz mit Anfassen'!
Diese ganze Fennstraße hier hinunter herrscht, obwohl deutlich innerhalb des S-Bahnrings gelegen, keine Umweltzone. Die Vermutung ist, daß damit den Lieferfahrzeugen von und für Schering der Weg zur Autobahn frei gehalten werden sollte. Eine Vermutung, mehr nicht, aber auch nicht ganz unlogisch.
An der Ampel rechts gehts nun aber wieder Richtung Norden in die Müllerstraße zurück. Wenn man jetzt ganz ehrlich ist und allen Lokalpatriotismus abstreift, wird man kaum behaupten können, daß sich einem hier ein verheißungsvoller Stadtlandschaftsanblick bietet.
Von nahem betrachtet wird das nicht besser. Ohne je dagewesen zu sein; einen Supermarkt an einer Ausfallstraße von Bukarest oder Sofia stelle ich mir äußerlich auch nicht wesentlich anders vor.
Diese Nettofiliale hat innen den Charme einer Ramschkiste. Die angebotenen Waren wirken als wären sie in einer anderen Filiale schon einmal ausgelegt worden.
Deshalb nur schnell weiter, unter die Brücke des S-Bahnhofs Wedding mit seinem Haupteingang und Übergang zur Ubahn. Und raus aus der Umweltzone.
Durchatmen. Das sieht doch schon ganz anders aus. Rechts das Arbeitsamt und gleich dahinter beginnt der Lausepark.
Den nenne ich ja hier immer so so selbstverständlich, als verstünde sich von selbst, daß der ehemalige Courbiereplatz und heutige Max-Josef-Metzger-Platz eigentlich Lausepark hieße. Für die Einheimischen - und das sind eher nur noch wenige - ist das durchaus klar.
Unklar, woher der Name Lausepark kommt. Nicht mal Googlen hilft hier wirklich, höchstens indirekt: In Velten gäbe es einen Viktoriapark, der ebenfalls Lausepark im Volksmund genannt wird. Das hätte folgenden Hintergrund: Weil sich Liebespaare im Park trafen und zusammensaßen, wie sich lausende Affen.
Eine solche Herleitung ist nicht auszuschließen auch für den Weddinger Lausepark. Es könnte aber auch eine alte Sprachform für das Terrain zugrunde liegen, nämlich das 'lusige Fenn', niederdeutsch für ein feuchtes, sumpfiges Gebiet. Topographisch, wie die nahe Fennstraße noch anklingen läßt, wäre das auf jeden Fall begründet.
Und wenn ich es in meiner Stadtlandschaft noch idyllischer als mit dem Lausepark haben will, dann gehts mit Lotti in die Rehberge. Diese Postkartenwinterlandschaft hatten wir da am Sonnabend nachmittag eine Stunde vor Sonnenuntergang:
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Montag, 6. Dezember 2010
Bahnhofsrunde
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