Freitag, 18. Juni 2010

Tod nebenan

Es will so gar nicht passen.
Die Sonne steht beinahe in ihrem höchsten Zenit, wovon nur die deutschen WM Fußballer nichts haben, weil es in Südafrika ebenso früh dunkel wird, wie es bei uns hell bleibt. Die Fauna zeigt sich in vollster Pracht und sattester Üppigkeit. Es knallt vom blauesten Postkarten-Himmel und ist doch angenehm luftig und läßt die Konturen sogar auf einem 35 kB Handy-Foto klar und scharf hervortreten.

Gerichtstraße

Lausepark

Da sind Hausmeister K. und ich vorgestern in die Wohnung von 'Poppy' oder 'Opa', wie er von einigen genannt wurde. Wir hatten ein zweites Schlüsselpaar, weil Poppy, - mit 87 Jahren der älteste Mieter des Hauses - von Zeit zu Zeit seine Schlüssel verloren oder verlegt hatte.
Sein Auto stand schon länger unbenutzt an der Straße, - nicht so ungewöhnlich bei einem 87-jährigen.
Gesehen hatte ihn kürzlich allerdings niemand, - vielleicht war er aber im Garten oder auch im Krankenhaus.
Die zum Lüften geöffneten Fenster - hatte ich auch schon länger nicht mehr bemerkt.
Ja, einmal hatte ein Mieter einen komischen Geruch auf der Etage wahrgenommen. So eindeutig konnten wir das aber nicht bestätigen - hätte auch leicht angesengter Sauerkohl sein können. Außerdem sondern Altbauten so ihre eigenen historischen Geruchs-Palimpseste ab. 
Klopfen, klingeln, anrufen - aber was bedeutet es, wenn niemand öffnet oder abhebt, zumal wenn der Bewohner stark schwerhörig ist.
Ex negativo tut man sich schwerer zu Entscheidungen zu kommen.
Der Fernseher, ja der lief, und zwar ziemlich leise.

Schon als wir die verschlossene Wohnungstür nur ein wenig geöffnet hatten, war die Sache aber klar. Ich ersparte mir weitere Nachforschungen, während K. in die Wohnung hineinging, nun auch die angelehnte Wohnzimmertür aufzog, wodurch ein Geruchsschwall freigegeben wurde, der einen geradezu überschwemmen wollte; eventuelle Hilfe war hier überflüssig.
Wir riefen die Polizei an. Als sie ankam, gefolgt von den Feuerwehrsanitätern, war der Geruch durch das kurze Öffnen der Wohnung auch schon am Hauseingang zwei Stockwerke tiefer atemberaubend.
Ich hätte nie gedacht, daß die über hundert Jahre alte Wohnungstür so gut abdichtet. Aber mehr als den toten Poppy früher aufzufinden wäre auch nicht drin gewesen.
Es sollte noch der Arzt, zur Feststellung des Todes, kommen; und auf die Kripo war zu warten. Poppy würde zur Obduktion in die Gerichtsmedizin gebracht werden. Eventuell würde, später, das Gesundheitsamt vorbeisehen.
Die Flurfenster werden auch in den kommenden Tagen noch in allen Stockwerken geöffnet bleiben müssen.

Gestern dann bin ich - gassigehend mit Lotti - dem Tod in ganz anderer Form förmlich nachgegangen, über die Straße rüber und durch den Lausepark, und nur auf die - Halt! Fuß! - andere Seite der Gerichtstraße* - zum Krematorium Wedding


1912 als erstes Krematorium in Preußen überhaupt, in Betrieb gegangen und gebaut an den Rand des lauschigen Urnenfriedhofs Wedding steht es derweil zum Verkauf. Die Unterhaltskosten von knapp einer dreiviertel Million Euro sind zuviel für den Bezirk,
Das war mir schon seit Tagen durch den Kopf gegangen, denn neulich, bei einer Veranstaltung des Liegenschaftsfonds Berlin (der Makler des Landes Berlin), hatte ich davon das erste Mal gehört, bestätigt am nächsten Tag durch einen größeren Artikel des Anzeigenblattes 'Berliner Woche' (Nr. 23/2010) unter dem Titel: Sauna im Krematorium?

Seit Ende 2002 wird im Krematorium nicht mehr kremiert. Dabei war das Krematorium Wedding in den Jahren zuvor noch aufwendig saniert worden. Davor konnte man bei entsprechender Wetter- und Windlage gerne auch mal den Ruß vom Balkon oder den Fensterbrettern fegen. Verschiebt man den Blickwinkel nur ein bißchen, wird auch deutlich, daß das Krematorium inmitten eines dichtbesiedelten Wohngebiets liegt. (Bei mir sinds 350 m Luftlinie bis zum Schornstein.)

Bestattungsunternehmen, Gärtnerei, Museum, kämen als denkbare Nutzer - und Käufer - in Frage. Aber auch Wellness Angebote könnten Architekten sich vorstellen, weil doch der Ofenraum im Keller so schön komplett gekachelt wäre.
Das mag für den einen oder anderen etwas Gruseliges haben, aber verschiebt man die Perspektive wiederum nur ein wenig - ... also ich sehe hier schon die Weddinger Thermen!


Problem sind noch: die Kolumbarien in den Seitenflügeln mit ca. 700 bisher dort untergebrachten Urnen. Kolumbarium ! Was für ein - zumindest mich - elektrisierendes Wort. Ich gestehe, daß es mir bis dato nicht geläufig war. Kolumbarium - eine Urnennischenwand, ein vertikaler Urnenfriedhof.

'Hier gehts ja zu wie im Taubenschlag', mag man vor einer solchen Urnenwand stehend als unpassende, gar pietätlose Beschreibung empfinden, dabei wäre es doch tatsächlich nur das Wörtlichnehmen des Kolumbariums: von lateinisch columbarium, der Taubenschlag. (Altrömische Grabkammern wurden wegen der optischen Ähnlichkeit mit ihm so benannt.) 


Die Tauben ausgeflogen - nicht ganz geheuer, wie es einem da aus dem leeren Schlag der historischen Urnenwand des Weddinger Urnenfriedhofs entgegenstarrt.
Aber hier wird bald wieder Leben in der Bude sein.


Denn da sind ja noch die 700 Urnen aus dem Krematoriumsbau unterzubringen.




Und genau hierher sollen sie verbracht werden. 400 jedenfalls, für die anderen 300 liefen demnächst die Liegezeiten aus, wobei man hier besser von Standzeiten sprechen sollte.
Also aufgepaßt, die müßten dann mal abgeholt werden! Oder wie? Und wenn nicht, was passiert dann mit ihnen und weiß die Antwort darauf nur der Wind?

An diesem historischen Kolumbarium, wie oft bin ich dort schon vorbei gegangen, und zwar auf der anderen, der Plantagenstraßenseite, ...


 ohne den blassesten Schimmer davon zu haben, was sich friedhofswärts dahinter verbirgt.


Das soll die Rückwand eines neu zu bauenden Krematoriumsgebäudes werden mit Kolumbarium sowie Feierhalle mit Warteraum und - ganz wichtig: Toiletten. Dann erst würde das alte Krematoriumsgebäude für andere Zwecke frei sein. 

Anyway. Man kann den Tod als die eigentliche Horizonterweiterung des Lebens ansehen. So man denn von keinen religiösen oder esoterischen Illu-, oder Visionen angesteckt ist, hat man davon leider nichts mehr. Von daher empfiehlt es sich auch grundsätzlich, das Leben auf die Zeit des Lebens vorzuziehen.

Berlinbanal überschreitet seinen Horizont des Kiez-Gassigehens deshalb auch lieber ab sofort und erweitert die Lauseparkrunde um einen gelegentlichen Weddinger Urnen-Friedhofs-Gang:

 



















* Die Namensgebung der Gerichtstraße beruht im übrigen nicht auf einer religiösen Anspielung auf das Krematorium - etwa Straße zum Jüngsten Gericht -, sondern erfolgte schon 1827, als nämlich noch der öffentliche Richtplatz mitsamt sehr irdischem Galgen - auf dem heutigen Gartenplatz - in Benutzung war: und DAhin führte die Gerichtstraße.

5 Kommentare:

  1. ...vielleicht 'ne Themen - Therme für die Gothic - Szene in Berline? Brrr;-)

    Liebe Grüße aus Spandau, ich glaube wir haben auch noch ein Krematorium. Aber ob das noch in Amt und Würden ist?

    Bis denne,

    A.

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  2. Hallo A., ja in Ruhleben und Treptow laufen die Krematorien noch:
    http://www.krematorium-treptow.de/startR/index.html

    Thermen sind doch immerhin besser als Krematorium. Nein, das würde sich glaube ich nicht tragen, und als Partylocation, will man auch nicht unbedingt ...

    Ich gehe da mit Lotti inzwischen fast jeden Tag kurz über den Friedhof, der ist ja nicht groß, hat aber trotzdem diese typische Ruhe eines Friedhofs.

    Ich werd auch die Bauarbeiten verfolgen.

    Schöne Grüße,
    W.

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  3. "Leben in der Bude"??????

    Vorsicht, Wortwitzpolizei ist im Anmarsch....*lach*

    Gruß, A.

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  4. Na klar, wenn der "Taubenschlag" wieder voll ist.

    Gruß W.

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  5. wäh, ich mein der schornstein ist ja echt mal nicht hoch und gleich daneben paar meter weiter weg sind die balkone, das es sowas gibt hätt ich ehrlich gesagt netmal geglaubt. ich mein, russ vom balkon fegen ist ja schon unlecker, aber wie das einen die bude vollstinkt möcht ich echt nicht wissen, fieß unapetittlich.

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