Donnerstag, 13. Mai 2010

Tapetenwechsel: Vom Rand der Mitte zur Mitte am Rand

Ja gut, das ist  kein so schlechter Anblick, wenn man aus dem Haus tritt:


Aber auf den Geist gehen kann es einem trotzdem manchmal: die zersplitterten Flaschen an dieser und jener Ecke; die Messerstecherei in der ehemaligen Stammkneipe, die jetzt eine Bandidos-Shisha Lounge geworden ist; die eingetretene Wohnungtür im Hinterhaus, weil der entsorgegerechteten Mutter plötzlich einfällt, sie wolle ihr Kind sehen, das bei der Schwester in Obhut ist, die sie aber aus gutem Grund nicht reinlassen will. Und obendrein ist es sogar statistisch viel zu kalt - heißt, ich hab immer noch meine Winterjacke für Gassigänge mit Lotti in Gebrauch.

Ein Tapetenwechsel - eine andere Wallpaper für den Background. Zum Glück sind wir für eine Tour verabredet: 6 Personen, 2 Hunde. Am Tag vor dem Start  noch bei der  Hundeschule mit Lotti und Rudi, strömender Regen 8 Grad Höchsttemperatur. Die Dackel sahen aus wie Fischotter. Wonnemonat ist anders. Aber schlechter kanns Wetter damit für die Fahrt nicht werden; positives Enttäuschungspotential auf jeden Fall besser als negative Gewißheit.

Kurz hinter Schönefeld schon führte das Band der Autobahn auf einen Horizont mit aufgelockerter Bewölkung zu. Ab dem Autobahn-Dreieck Blota, fährt man durch die sich nach Südosten erstreckende Luzica, ist also auf sorbischem Gebiet. 
Von der A13 runter, durch Kalawa - berühmt für Geistesblitze wie diesen: „Kalauer sind die Buchstaben A bis J.“  – „Weil die alle auf das K lauern!“  - zur ersten Rast mit Picknick im Schloßgarten von Stara Darbnja. 

Sollte der Eindruck entstanden sein, wir befänden uns in einem entfernten Märchenland - nein, ein gute Autostunde sind wir entfernt von Berlin, und wir haben auch nicht etwa schon die Bundesrepublik verlassen, noch nicht einmal das Land Brandenburg.



Schicke Hütte  - und sähe man von dort aus dem Fenster, die Aussicht auch nicht schlecht:

  
Bei der Lausitz lauert im Untergrund leider auch immer gleich die Braunkohle. Das sieht man indirekt an der Frontseite von Schloß Altdöbern. 


Naja, was nutzt dir das schönste Entree, wenn du erst mal an Bauzaun und -gerüsten vorbei mußt. Kannst du auch gleich deine Wohnung umbauen. 
Das Schloß nun ist tatsächlich etwas abgesackt; kein Wunder, wenn dein Schloßpark an einen offenen Braukohltagebau grenzt. 

Bei unserem Picknick kam lediglich ein älteres Paar vorbei, das zwei Fahrräder durch den Park schob und uns etwas mißbilligend anzuschauen schien, weil wir ausgerechnet HIER im barocken Gartenteil unsere SchnitzelchenSchnitzelBoulettenHähnchenflügelmariniertesHuhnEiOlivenKartoffelNudelKürbiskernSalate verzehrten.



D. hatte aber noch einen weiteren heißen Tip für einen Tapetenwechsel auf Lager, -  und auf gings weiter nach Süden bis hinter Budysin und baugeschichtlich rund zweihundert Jahre voran, nach Lubij in die Villa Schminke.


 Das hätt'ste hier nicht erwartet, mitten in der tieferen Hornja Łužica wie ein RaumSchiff gelan-oder -strandet ein Wohnhaus, das sich der Nudelfabrikant Schminke neben seine Fabrik von Scharoun hat hinsetzen lassen in einen weitläufigen Gartenpark und in dem einem gleich heimelig werden möchte vor lauter Anklängen an die Berliner Philharmonie.



Sicherlich hielten damals, Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, einige die Schminkes für völlig verrückt ob der schrägen Architektur, die doch nur klar, funkionsbetont und auf Transparenz aus ist.



Diese Transparenz insbesondere hat nur auch ihre Kehrseite. Und so hieße es heute dagegen?! Was meinste, was das kostet zu heizen! 12 Tausend verriet uns die Führerin.

Man  kann hier übrigens auch tageweise wohnen bzw. übernachten: http://www.stiftung-hausschminke.eu/de/Startseite/ 
Das sollte nur mit guten Bekannten geschehen, denn die Transparenz des Baus hat noch eine weitere Tücke in petto: Es könnte einem nach einiger Zeit der Wunsch überkommen, mal eine Tür hinter sich zumachen zu wollen. Das wird schwierig!

All diese Sorgen würden den Fleischermeister von Kamjenc nach seinem finalen Tapetenwechsel nicht mehr behelligen.


Für uns ging es weiter in den Süden der Oberlausitz, durchs Umgebindeland mit seinen flächendeckend sanierten Dörfern, die gänzlich aus diesen merkwürdigen Hybridhäusern bestehen.  http://www.umgebindeland.de/  http://www.zittauer-gebirge-tour.de/Sehenswertes/Oberlausitzer-Umgebindehaeuser         

Und dann waren wir in Waltersdorf angelangt, geografisch zwar ziemlich in der Mitte Europas, aber auch dort, wo  - früher wenigstens - die Welt mit Brettern vernagelt war, und man sich leicht an den Arsch der Welt versetzt fühlen kann:


Dabei war auch hier schon einiges los: 1938 ein erbittertes Gefecht der tschechischen Grenzwache gegen einmarschierende Nazitruppen; dann die geschlossene Brudergrenze zwischen DDR und CSSR; heute wird ein beliebter Wander-Grenzüberweg hier markiert.
Jetzt noch rechts hoch, parallel zur Grenze, die aus nicht mehr als  ca 30 cm hohen Grenzsteinen besteht;
dort oben rauf -


- und hinunter geschaut vom Hotel Hubertusbaude:


Wer überlegt, sich zuhause die Wände mit einer Phototapete zuzukleistern,  das hier könnte in die engere Auswahl für einen Tapetenwechsel kommen.
http://www.ruebezahlbaude.de/unser-haus-hubertus.php



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